Die „Grundschule und weiterführende Schule der Schwestern von Nazareth“, zumindest so hatte es ein Übersetzungstool übersetzt, hatte ich im Rahmen unseres Erasmus+-Projektes erst verspätet zur Betreuung übernommen, um nach Möglichkeit noch etwas Gemeinsames daraus aufzubauen. Angesichts des Säbelrasselns der damaligen polnischen Regierung gegen die Europäische Union und insbesondere gegen Deutschland, war es also vielleicht nicht das schlechteste Vorhaben am Verbindenden zwischen Polen und Deutschen mitzuwirken. Also hospitierte ich im Frühjahr 2023 („Job-Shadowing“) für ein paar Tage am internationalen Zweig dieser privaten, katholischen Mädchenschule, dem für uns in Frage kommenden weiterführenden Zweig der Schule ab Klasse 9. Immer im Hinterkopf, ob sich daraus nicht auch ein gegenseitiger Schüleraustausch entwickeln könne. Und diese für mich ungewöhnliche Mischung aus einerseits Tradition, Religion und Schuluniform, andererseits moderner Schulausstattung, internationalem Kollegium und internationaler Ausrichtung durch IB überraschte mich positiv, nicht zuletzt dadurch, dass diese Bildungseinrichtung eine unglaubliche Herzlichkeit und Nestwärme ausstrahlte. Ebenso überzeugte mich das Ziel Warschau, zweifelsohne eine europäischen Metropole mit einer modernen Skyline und gemütlicher Altstadt, tollen Museen, einem funktionierendem ÖPNV und einem Charme, der mich (n)ostalgisch an meine Zeit um die Jahrtausendwende in Berlin erinnerte. Nur sauberer. Also, da musste auch etwas für unsere Schüler:innen gehen!
Und so brach ich zusammen mit Frau Höch und zehn unserer wunderbaren Schülerinnen und Schülern der Q1 Ende Oktober für eine Woche auf in das große Experiment eines Schüleraustauschs in den Warschauer Herbst.
Am Montag hoben wir optimistisch, aber viel zu früh vom Düsseldorfer Flughafen ab Richtung Warschau Chopin, wo wir von unserer Gastschule persönlich abgeholt und zu Schule gefahren wurden. Beim anschließenden Welcome-meeting hielten Fabio und Mandana souverän ihre im Vorfeld gut vorbereiteten Präsentationen, in denen sie den Warschauer Schülerinnen Wissenswertes über unsere Heimatstadt und wichtige Trends deutscher Jugendlicher gekonnt näher brachten – natürlich auf Englisch. Obwohl sich nach dem Mittagessen das Schlafdefizit in unserer Gruppe zunehmend bemerkbar machte, setzten wir uns zusammen mit unseren Gastgeben mit polnischen und deutschen Stereotypen auseinander, der Funktion von Vorurteilen und zogen Schlussfolgerung zu unserem Umgang mit ihnen.
Am Dienstag hospitierte unsere Schülergruppe zunächst im Unterricht der Gastschule, lernte neue Fächer („Theory of knowledge“) mit bekannten Inhalten kennen, bevor wir uns am späten Mittag auf einen Stadtführung begaben: gute zwei Stunden links und rechts der Prachtstraße Krakowskie Przedmieście in Richtung Altstadt brachten unsere Füße ans zweifelsohne ans Limit. Dafür erfuhren wir Interessantes u.a. etwas über die wichtigsten polnischen Nationalhelden („Nikolaus Kopernikus“, „Frédéric Chopin“, „Marie Curie“ und „Papst Johannes Paul II.“ – und aktuell vielleicht noch „Lewandgoalski“), die schwierige russisch-polnische Geschichte sowie in Kirchen eingemauerte Körperorgane.
Der Mittwoch begann wieder an der Gastschule mit Unterrichtshospitationen. Zum Mittagessen führte uns Herr Jurkowski, unser fließend Englisch und Deutsch sprechender Kollege zum Mittagessen in eine polnische Besonderheit: die Milchbar („bar mleczny“). Gut gestärkt zum günstigen Preis folgte anschließend thematisch der für uns vielleicht schwierigste Teil der Fahrt ins Polin, dem Museum der Geschichte der polnischen Juden. Hier im Europas Museum des Jahres 2016 erfuhren wir mehr über die Vielfalt des jüdischen Lebens in Polen vor dem zweiten Weltkrieg, bevor wir auch mit den grausamen Facetten der deutschen Besetzung Polens und v.a. Warschaus („Warschauer Ghetto“) im zweiten Weltkrieg konfrontiert wurden.
„Should die EU ban nuclear power?“ war die politische Frage, die am Donnerstag zunächst im Mittelpunkt stand. Hintergrund der Fragestellung war, dass während Deutschland gerade aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie ausgestiegen ist, hat Polen den umgekehrten Weg des Einstiegs eingeschlagen und baut neue Kernkraftwerke – dabei natürlich nicht weniger von der sachlichen Richtigkeit der eigenen Position überzeugt wie unsere Regierung vom Ausstieg. Ausführlich bereiteten sich zwei gemischte Teams auf die abschließende Oxford-Debatte vor, indem sie sich in das Thema Kernkraft einarbeiteten, Argumente für die eigene Position, aber auch Strategien gegen mögliche Gegenargumente bedachten. Begleitet wurden sie dabei von den souveränen Mitgliedern des Debattierclubs der Nazareth-Schule, die eine tolle Hilfe darstellten. Voller Respekt und Anerkennung verfolgten nicht nur Frau Höch und ich den aktiven Debattenbeiträgen von Merle, Simon, Caja und Nicholas.
Nachmittags machten wir uns auf dem Weg zum wohl imposantesten Gebäude Warschaus, dem Kulturpalast – trotz des schlechten Wetters sicherlich nicht nur für Charlotte eine bleibende Erinnerung. Den langen Tag rundeten wir zusammen mit unseren Gastschülerinnen beim Essen typischer polnischer Speisen wie Piroggen und Bigos ab. Ebenso lecker wie reichhaltig kam Merle auf die tolle Idee die ebenso üppigen Überreste einpacken zu lassen und noch Bedürftigen zu spenden. Gesagt, getan!
Im Zeichen der Verabschiedung stand der Freitag. Morgens führte die Fachgruppe Kunst eine T-Shirt-Aktion durch, später verabschiedete uns die Schule offiziell, bevor wir unsere Warschauer Zeit mit einer Selfie-Rallye im wunderbaren Łazienki-Park ausklingen ließen. Abends hob unser Flieger ab.
Was bleibt von dieser Woche? Selten fühlten sich fünf Tage so kurzweilig an, so intensiv war die Zeit, das Programm, die Vielfalt der Eindrücke. Unsere Schüler:innen hoben die in der Schule, aber auch in den Gastfamilien immer wieder erfahrene Gastfreundschaft als ungewöhnlich umfassend hervor. Fühlten sie sich an unserer städtischen Schule gegenüber Schülerinnen einer Privatschule schlechter unterrichtet- unterm Strich haben sie das eindeutig verneint. Auffallend war für uns begleitende Lehrer, wie harmonisch es in unserer Gruppe insgesamt war und wie vorbildlich sie sich insgesamt präsentiert hatte. Das Experiment mit dem Zielort „Warschau“ als Stadt an sich scheint aufgegangen zu sein: „Definitiv mal ein anderes Ziel“, ist eine Schüleräußerung, die mir in Erinnerung bleiben wird.
Und eine weitere Perspektive soll auch Erwähnung finden, dass wir wohl einem typischen deutschen Vorurteil kräftig entgegenwirken konnten: „No, they have humor!“ lautete das Fazit einer Schülerin über unsere Gruppe.
Im April 2024 werden die Warschauer Schülerinnen unser CHG zum Gegenbesuch besuchen. Der Start scheint geglückt zu sein.